The Tree of Life
Von Hubert Keßler
Spielfilm des US-amerikanischen Regisseurs Terrence Malick aus dem Jahr 2011.
Wo warst du, als ich die Erde gegründet? /…
als alle Morgensterne jauchzten, /
als jubelten alle Gottessöhne?
(Hiob 38, 4ff)
Diese Frage Gottes an Hiob, der über sein unschuldig erlittenes Leid vor Gott in verständliches Klagen ausbrach, wählte
T. Malick als Eröffnungsakkord seines filmischen Epos „Tree of life“. Es ist die Frage, die zu Hiobs Umkehr, zum „Sich
Ergeben“ und zu seinem neuen Glück führte.
Filmquelle: http://www.imdb.com/title/tt0478304/
Die Protagonisten des Filmes, die Familie O`Briens im US – amerikanischen Texas werden vom Regisseur zu diesem „Wendepunkt“ der Frage des Leides und der Frage der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leidens hingeführt. Er verbleibt nicht in der „Enge“ dieser Frage, sie wird Teil der Geschichte dieser Familie, im Horizont der Evolution des ganzen Lebens, der Suche nach dem, was auf dem Grund dieses Lebens vibriert.
Und im Rückblick erkennen die Protagonisten die vielen wirksamen Momente einer Begleitung, einer Antwort des Geheimnisses auf diese Fragen, die ihren Höhepunkt im Agnus Dei, in Gottes endgültiger Antwort auf die Frage des Lebens und darin eben auch auf die Frage des Leides findet.
Auch der Zuschauer, der Kinobesucher wird zum Verlassen der Bühne gedrängt, begleitet von herrlichen Naturbildern und großartiger Musik: er wird vor die Wahl gestellt. „Zwei Wege, den Weg der Natur und den Weg der Gnade. Man muss sich entscheiden, welchen man geht.“
Im Film folgt die Vorstellung dieser beiden möglichen Wege:
Die Gnade, repräsentiert durch Jessica Chastain als Mrs O’Brien ist der eine der vorgestellten möglichen Wegen durchs Leben. Uneigennützigkeit, Hinnahme und Treue. Wer diesen „Wer den Weg der Gnade geht, wird niemals ein böses Ende nehmen. Ich werde dir treu sein, was auch geschieht.“
Der andere Weg ist der der Natur, im Film ist es die Figur des Vaters. Die Natur sucht den Eigennutz, den Erfolg, die Herrschsucht, letztlich geht es um die „Durchsetzung ihres Willens“. Dabei findet sie Immer „ Gründe, unglücklich zu sein. Im Film riet er seinem Sohn: „Mach nicht den gleichen Fehler wie ich, versprich mir das, ….am Ende „Ich wollte immer nur, dass du ein starker Mann wirst und dein eigener Herr bist.“
Und dann geschieht es. Das Unglück bricht in das Leben der Familie ein. Mrs. O’Brien - nunmehr Ehefrau und Mutter dreier Söhne – erhält ein Telegramm, das sie vom Tod ihres 19-jährigen Sohnes unterrichtet. Die Nachricht stürzt sie, ihren Ehemann und die verbliebenen Söhne in tiefe Trauer.
Es folgen die menschlich unmöglichen Antworten auf den Tod. Man fühlt sich erinnert an die „Freunde“ Hiobs, die versuchen ihm das Leid zu erklären und zu begründen, als eine Nachbarin der Mutter sagt: „Du musst jetzt stark sein. Der Schmerz wird vorbei gehen. Das Leben geht weiter, Menschen kommen und gehen, nichts bleibt, wie es ist. Du hast immer noch die anderen beiden. Der Herr gibt und der Herr nimmt. Auf Wunden, die er heilen soll, schickt er Schmeisfliegen.“ Und man versteht die scharfe Rüge der „Freunde“ durch Gott:
„Und es geschah, nachdem der HERR jene Worte zu Hiob geredet hatte, da sprach der HERR zu Elifas, dem Temaniter: Mein Zorn ist entbrannt gegen dich und gegen deine beiden Freunde: Denn ihr habt über mich nicht Wahres geredet wie mein Knecht Hiob.“ (Hiob 42,7)
Die Auseinandersetzung mit dem Tod des Kindes und Bruders führt, durch viele Rückblenden angeregt, zur Veränderung der Protagonisten. Man könnte mit Elihu aus Hiob sagen, sie werden durch Leiden zu „Selbsterkenntnis und Gehorsam“ geführt.
Der Vater
Beim Vater meldet sich das Versäumte. „ Ich hatte nie die Gelegenheit, ihm zu sagen, wie leid es mir tut …. ich schäme mich“
Eine andere Rückblende zeigt ihn nach dem Verlust seiner Arbeit: Zunächst noch bezeichnete er im Auto nach einem Gottesdienst über Hiob und die Vergänglichkeit des Erfolges und des Lebens seinen Freund Frank Johnson neidvoll als „Vierten der Dreifaltigkeit“ wegen seines Erfolges, und erklärt seinen Kindern: „Wer Erfolg will, darf nicht zu gut sein“…
Nach dem Verlust seiner Arbeit aber erkennt er: „Ich wollte geliebt werden, weil ich so großartig war. Ein toller Hecht. Nichts bin ich. Sieh die Schönheit um uns herum, Bäume und Vögel. Ich lebte in Schande. Ich missachtete die Pracht. Ich bin ein dummer Mensch. … Sie schließen die Raffinerien. Sie stellen mich vor die Wahl: keinen Job oder Versetzung auf eine Stelle, die keiner will… ich habe kein Arbeitstag gefehlt. Hab jeden Sonntag meinen 10-ten entrichtet.“
Er erkennt, dass er nichts zustande gebracht hat, außer den Jungs. Mehr will er aber auch nicht mehr. Das Schicksal ließ ihn den Wert seiner Kinder entdecken.
Und dies durch die bei Malick öfter angewandte Methode, die Gedanken der Personen in der Form des inneren Monologes hörbar werden zu lassen, die er dann mit Bildern und vergangenen Geschichten aus dem Gedächtnis unterlegt.
Die Mutter
In den Augenblick, in denen die Erfahrung des Leides oder auch des Glückes im Vordergrund stehen, lässt Malick die Worte ganz beiseite und spricht durch die Musik und die Bilder.
Am bewegendsten wird dies in den Fragen der Mutter, der Person der Gnade, deutlich: „ Hab ich dir nicht immer treu gedient, Herr, Warum? Wo warst du?“ „Hast du es gewusst? Wer sind wir für dich? Antworte mir“. Das “Lacrimosa” aus dem " Requiem für meinen Freund" von Zbigniew Preisner nimmt diesen Schrei der Mutter auf und lässt den Zuhörer daran teilnehmen. Immer als Frage, die weiter ist als der Schmerz.
„Wann hast du zum ersten Mal mein Herz berührt? Du hast durch sie zu mir gesprochen, du hast vom Himmel aus zu mir gesprochen, den Bäumen, noch bevor ich wusste, dass ich dich liebe, an dich glaube“.
Gerad die Kontrastierung dieses traurigen Augenblickes mit den Rückblicken auf die schönen Momente des Lebens, die durch ausgelassenes Spielen und Tanzen dargestellt und deren Lebensfreude durch die Moldau Smetanas umrahmt werden, intensiviert diese Erfahrung. „Da oben wohnt der liebe Gott“, sagt sie ihrem kleinen Sohn.
Der Bruder
Beim Erzähler des Filmes, dem älteren Sohn und späteren sehr erfolgreiche Architekt, tauchen längst verdrängte Fragen nach dem Geheimnis des Lebens wieder auf: „Wie hast du dich mir offenbart? In welcher Gestalt? – In welcher Verkleidung?“
„Ich kannte deinen Namen damals nicht, aber ich weiß, das warst du, immer hast du mich gerufen… „Wie konnte ich dich verlieren – dich vergessen“ monologisiert er inmitten der Hochhäuser. „Wenn du nicht liebst, fliegt das Leben an dir vorbei, tue anderen Gutes, staune, hoffe ….
Im Film verlässt er seine Bürogebäude und versinkt wieder in den mit vielen Bildern umrahmten inneren Monolog. „Bruder, behüte uns, führe uns, bis ans Ende aller Zeit - folge mir“. Zunächst denkt man, er spricht zu seinem Bruder, Malick lässt ihn durch eine Tür treten und die Musik verweist auf DEN BRUDER des Agnus Dei, (Agnus Dei" des “Requiem” von Hector Berlioz) auf das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünden der Welt.
Am Ende ist deutlich: Die Frage des Menschen ist weit mehr als die Frage nach dem Sinn des Leides und dem Tod. Was in der „Hiob-Predigt“ noch als Appell des Priesters formuliert war: „Wir können nicht verharren. Wir müssen auf die Reise gehen. Wir müssen finden, was größer ist als Glück und Schicksal. Nur das kann uns den Frieden bringen“, findet hier nun seine mögliche Antwort: „Folge mir“!
Hubert Keßler