Dein Weg / Oder – ein Neuaufbruch ist möglich
Ein bisschen skurril kommt dieser Film daher. Ein Vater (Tom), der mit der Asche seines Sohnes (Daniel) auf dem
„Camino“, dem Weg nach Santiago de Compostela unterwegs ist und dabei beginnt, seinen toten Sohn besser zu verstehen.
Filmtechnisch erscheint der Sohn (der Regisseur Emilio Estevez selbst, der zugleich der Sohn des Hauptdarstellers ist)
in den unterschiedlichsten Szenen. Aber nicht eine psychologische Vater – Sohn Beziehung ist hier das Thema, es geht um
mehr.
Auf diesem Weg trifft Tom drei weitere schillernde Pilger mit den unterschiedlichsten Gründen für diesen Pilger-Weg:
Abnehmen, Rauchen abgewöhnen, Suche nach der verlorenen Inspiration werden klischeehaft angeführt. (hört man sich heute
um, so spiegeln diese Klischees das Leben nicht Weniger wieder) Man kann bei den Worten und dem lustig und weniger
lustigen Geschehen unter ihnen nicht stehen bleiben. Zu offensichtlich wollte der Regisseur- und das gelingt ihm auch,
den Blick auf anderes zu richten. Es beginnt trotz der gegensätzlichen Charaktere auf diesem Weg eine Geschichte
zwischen diesen Menschen, die ihre eigentliche menschliche Problematik zum Vorschein kommen lässt. Man könnte geradezu
sagen, aus der Diskussion über das wahre Pilgern (ebenso nervig im Film dargestellt, wie eben abstrakte erfahrungslose
Diskussionen über das wahre Leben sind) werden vier Pilger, die sich ihren wirklichen Fragen stellen und dadurch zu
Freunden werden. Hinter dem „Rauchenabgewöhnen“ liegt die Schuld einer Abtreibung, hinter dem „Abnehmen“ ein Ehekonflikt
und hinter der Suche nach der „passenden Metapher“ (es ist geradezu nervtötend, die redaktionellen Übertreibungen zu
verfolgen) kommt die unerledigte Gottesfrage zum Vorschein. Und Tom? Nun, er hatte sein Leben nach dem Tod seiner Frau
zwischen Augenarztpraxis und Golfclub eingenordet und lernt auf dem Camino den lautstarken und berechtigten Protest
seines Sohnes verstehen. Beeindruckend ist, dass er dies durch seine Menschlichkeit hindurch entdeckt. Sein sturer
Charakter, seine Entschlossenheit, den letzten Willen des Sohnes nachzuvollziehen, werden durch die Widrigkeiten der
Umstände hindurch (in diesem Falle die „schrägen“ Gestalten seiner Begleiter) zum Weg der persönlichen Veränderung. Man
muss den Weg persönlich gehen, sagt ihm zu Beginn des Weges der Polizist. Das tut er und weicht nicht aus, unterstützt
von dem ständigen Willkommensgruß unterwegs: wir haben auf dich gewartet.
Aus dem Vorwurf des Sohnes zu Beginn des Filmes –„Man entscheidet sich nicht zum Leben, man lebt es“, wird für den Vater
eine gelebte Erfahrung, die ihn der Bürgerlichkeit entreißt. Zumindest geht man mit dieser berechtigten Hoffnung aus dem
Film. Die drei anderen Akteure sehen nun, nachdem sie gemeinsam doch bis zum Marienheiligtum nach Murxia (Heiligtum
Virxe da Barca / Jungfrau vom Schiffe) gewandert waren, klar, dass „Abnehmen, Rauchen oder Metaphersuche“ nur
Ablenkungsmanöver vom Eigentlichen waren.
Hubert Keßler