7.5.2021 Hoffnung in Zeiten von Corona?
Von Hubert Keßler
Der Coronapriester
Dialog mit Ignacio Carbajosa, Autor des Buches
7.Mai 2021 um 20.30. Zoomlink
Hubert Keßler
Aus Ignacio Carbajosa Bereitschaft, sich als Priester in der Hochphase der Pandemie in Madrid zur Verfügung zu stellen, ist ein beeindruckendes Tagebuch entstanden.
„Was ich gesehen habe, hat in mir gerungen. Es hat mich verletzt. Und es hat in mir einen Dialog mit dem Geheimnis Gottes ausgelöst“. Was Ignacio Carbajosao hier schreibt, bemerkt man durch jede Seite des Büchleins. Wir erleben seine Veränderung und man wird beim Lesen selbst verändert.
Wir alle kennen die Flut der Bilder, die das Leid und die Folgen der Pandemie darzustellen versuchen. Beim Lesen dieses Büchleins schauen wir hinter diese Bilder. Wir lernen den Menschen sehen, wie er ist, wie er sich versteckt vor der Wirklichkeit oder sich der Wirklichkeit aussetzt. Ignacio schreibt: „Ich begegne von Angesicht zu Angesicht dem Geheimnis des Schmerzes, das in einem „Ich“ Gestalt angenommen hat, das nach einem Sinn fragt und sich nach Trost sehnt.“
Mit diesem Tagebuch eines Krankenhausseelsorgers liest man nicht über das Geschehene, man läuft geradezu mit durch die Gänge der Stationen und begegnet dabei ihm und durch ihn ungeschminkt auch den Kranken und Sterbenden in ihrem Leid. Der Mensch, der sich eingenässt hat und dem der Seelsorger die Krankensalbung bringt. Die Demente, die nur noch formelhaft die einmal gelernten Gebete wiederholt und der Priester, der an Ihrer Seite, diese Gebete vor Gott trägt.
Das Buch berührt, weil es uns konfrontiert mit der Wirklichkeit, wie sie ist. „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst.“ Angesichts von Patricia, vor der Ignacio diese Worte in der Krankensalbung ausspricht, werden diese Worte zum „WORT“, zur Realität. Es berührt, weil Ignacio sich berühren lässt. „Ich gehe in ihre Zimmer und betrachte. Ich lasse mich von dem anrühren, was ich sehe, ich lasse mich verletzen“.
Zu Recht wird die Verfügbarkeit und das Opfer der Pflegenden, der Ärzte und des gesamten betreuenden Personals im Krankenhaus gelobt. Hier nun schreibt ein Krankenhausseelsorger, der am gleichen Ort wirkt, jedoch keine Medikamente, sondern durch seinen Blick, sein Wort und die Sakramente, die er spendet „die Zärtlichkeit Christi“ bringt. Und wenn er die fixierten Patienten auf das Kreuz verweist, das in diesem franziskanischen Krankenhaus in jedem Zimmer hängt, dann wird der am Kreuz festgenagelte Jesus zur konkreten Begleitung für die Menschen.
Hier spricht nicht jemand über das Leben, das Tagebuch wird zur Schule des Lebens, wenn er schreibt: „Mich überrascht jetzt, was mir so natürlich erschien, seit ich im Krankenhaus arbeite: dass meine Beziehung zu jedem einzelnen Menschen hier auf der Schwäche basiert, die ihnen und mir ganz zu eigen ist. Sie begegnen mir halbnackt und zerbrechlich, ohne die gewohnten Zuflüchte und Schutzmechanismen. Unsere Beziehung ist hüllenlos. Es ist die echte Beziehung: Wie viele Hüllen müssen wir in unserem gewöhnlichen Leben ablegen, bevor wir auf diese echte Ebene gelangen!“
„Wir brauchen jemand, der uns anschaut und uns sagt, wer wir sind. Gerade in der Einsamkeit, wenn wir nichts wert zu sein scheinen“, reflektiert er angesichts eines von Kinderhand geschrieben Zettels für Eusebio. Wer bin ich denn? Ich bin du, der du mich hältst, darin liegt meine Würde. Was für eine Gnade, wenn andere mich so sehen, wenn ich mein Bewusstsein verliere, wenn mich durch einen Zettel der Kinder solch ein Blick erreicht, zu dem man selbst nicht mehr fähig ist. Ich habe selten eine schönere Beschreibung des Grundes der Würde des menschlichen Lebens gelesen.
Hubert Keßler
Ignacio Carbajosa, Der Coronapriester, Tagebuch eines Krankenhausseelsorgers im Verlag fe-Medienverlag