Begegnung mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Peter Müller im Schloss Bruchsal
Von Hubert Keßler
Begegnung mit Peter Müller
Ja, das Thema, „Zerreißprobe für eine Verfassung – Das Grundgesetz in einer divergierenden Gesellschaft“ ist aktueller denn je. Geradezu prophetische Fähigkeiten hatte Herr Müller, ehemaliger Verfassungsrichter und saarländischer Ministerpräsident, Kulturinitiative bescheinigt.
Was macht das Grundgesetz aus? Es hat uns 75 Jahre Frieden und auch Wohlstand ermöglicht. Dafür war mit die Tatsache verantwortlich, dass die Verfassungsväter nur das Notwendigste regeln wollten. Historischer Hintergrund war gewesen, dass so etwas wie der Nationalsozialismus nicht mehr möglich sein sollte. Vom einzelnen Menschen her denkend, ist zentral die Würde des Menschen. Alle Menschen sind gleich. Es sollte den Schutz vor willkürlichem Handeln garantieren. Demokratie, die Herrschaft des Volkes, lebt von dem Mittun, von der Mitgestaltung eines jeden Einzelnen. Das ist eben das Kennzeichen der Demokratie: Rechtsstaatsprinzip und Föderalismus sind dabei bleibende Prinzipien. Ja, wir haben eine gute Verfassung, sind wir aber auch in einer guten Verfassung. Wir erleben einen Siegeszug des Populismus: Melonie, Wilder, FPÖ, AfD – zeigt einen deutlichen Rechtsruck in der europäischen Politik.
Eine der bedeutendsten Entscheidungen, als Berichterstatter in zwölf Jahren Bundesverfassungsgericht, war sicher das Urteil zum NPD-Verbotsverfahren. 2017. Herr Müller hatte damals gesagt: die NPD ist verfassungsfeindlich. Aber das beantragte Parteienverbot lehnte er ab, mit der Begründung: Die Partei ist zu bedeutungslos, um die Demokratie zu gefährden, sie kann ihre Ziele sowieso nicht durchsetzen. Seine Gründe waren gewesen: die NPD war nirgendwo in den Parlamenten mehrheitsfähig. Die Mitgliederzahlen waren rückläufig. Die Wirksamkeit in der Öffentlichkeit war minimal. Der demokratische Diskurs wurde dadurch nicht in relevantem Umfang gehindert, und auch die Entwicklungsperspektive war nicht gut. Nun, das kann man in der aktuellen Situation hinsichtlich AfD nicht mehr sagen. Trotzdem sah Herr Müller einem AfD Verbot mit Skepsis entgegen. „Demokratie lebt nicht von Verboten, sondern von einem offenen Diskurs“. Darum war er auch kein Vertreter einer sogenannten Brandmauer. Man drängt eine solche Partei in eine Opferrolle und wertet sie dadurch eher auf. Das gefiel nicht allen im Saal.
Sein Vertrag und auch die anschließende Diskussion zeigte, worauf er setzt: Er setzt auf die Kraft des Argumentes. Natürlich ist die Verfassung ein „living instrument“ und muss sich dem gesellschaftlichen Wandel anpassen, sie hat aber genügend Widerstand und Beharrungsvermögen bewiesen. Zentral bleiben die Menschenwürde und die Grundrechte, auch wenn im Zusammenleben die entstehenden Kollisionen immer wieder neu ausgehandelt werden müssen. Den Lebensschutz, den er absolut bejahte, verteidigte er, würde aber den in unserer Gesellschaft gefundenen Kompromiss in der jetzigen Situation nicht aufschnüren wollen. Deutlich war er bezüglich einer wuchernden Bürokratisierung. Zu viele Formulare und Beamte und Zuständigkeiten verhindern ein wirksames Arbeiten. Klärend seine Stellungnahme zum Antisemitismus und vielen anderen Bereichen.
Mit großer Dankbarkeit blicken wir zurück auf diesen Abend, gemeinsam mit vielen anderen, was die zahlreichen Rückmeldungen zeigten.
Hubert Keßler