Alles wirkliche Leben ist Begegnung
Von Hubert Keßler
Begegnung mit Ingmar Björn Nolting
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Rheinmeeting in Köln
Aus der Reihe: Alles wirkliche Leben ist Begegnung (M. Buber), Rhein-Meeting Köln; Februar - März 2021)
Zur Veranstaltung:
Begegnungen auf Distanz
Nach einer Rede von Angela Merkel am 18. März 2020 bricht Ingmar Björn Nolting auf, um durch Deutschland zu fahren und Aufnahmen über den ersten Lockdown zu machen. Seine Reise führte ihn 9000 km durch das Land. Er fotografierte Grenzlinien und Hinterhöfe der Corona-Krise mit dem Ziel einer zusammenhängenden, umfassenden und persönlichen Dokumentation der Situation. Die so entstandenen Bildern gewähren einen eindrücklichen Einblick in den aktuellen Zustand der deutschen Gesellschaft. In dem Treffen wird er seine Arbeit vorstellen und über seine Beobachtungen sprechen.
Zur Person: Ingmar Björn Nolting
Ingmar Björn Nolting (1995) lebt und arbeitet als freiberuflicher Fotograf in Leipzig, Deutschland. Er studierte Fotografie an der Fachhochschule Dortmund, ist Mitglied der Agentur Laif und Gründungsmitglied des Foto-Kollektivs DOCKS. Ingmars Langzeitprojekte wurden mit nationalen und internationalen Preisen wie dem Getty Reportage Grant, World Report Award und einem VG Bildkunst Stipendium ausgezeichnet. Seine Bilder wurden ua. im TIME Magazine, ZEIT Magazin, GEO und Stern veröffentlicht.
Webinar - 19.3. 2021 um 19:15 Uhr
Einleitung
Alles Wirkliche ist Begegnung - Begegnung auf Distanz
Es geht um ein Treffen mit Ingmar Nolting, einem jungen Fotografen aus Leipzig. Er reiste zu Beginn der Corona-Krise durch Deutschland, um zu schauen, was die Krise mit den Menschen macht. Ein zweites Mal vor kurzem noch einmal. Beide Fotoessay / Fotodokumentationen sind in der Zeitbeilage veröffentlicht worden. Die erste in der Times und vielen anderen großen Zeitungen. Mehrfach wurde er inzwischen ausgezeichnet.
In ihm sprechen wir mit einer Person, der in der begegnungsarmen Zeit Menschen, natürlich unter Corona-Bedingungen auf Abstand begegnet ist, zum anderen diese Begegnungen durch die Kamera noch einmal nonverbal hat transparent werden lassen. Welche Wirklichkeit hat er gesehen, und was verändert es, dem Menschen auf Distanz zu begegnen. Eine Situation, die uns allen inzwischen durch die Maske nicht unbekannt ist.
Hubert Keßler am Abend
Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit. Ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder nur zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus.
Martin Buber
Als Fotograf, Ingmar, tust du Ähnliches – du führst uns durch deine Bilder zum Fenster und lässt uns hindurchblicken auf die Wirklichkeit, wie du sie gesehen hast.
In Persona als Fotograf hast du durch deine Projekte einige Begegnungen durchlebt. Ich nenne hier nur drei:
- Du warst in Somaliland, um dort ein Porträt der oft übersehenen Region zu erstellen
- Zweieinhalb Jahre lang hast du die Bewohner im Iduna Hochhaus in Göttingen begleitet, das heute als sozialer Brennpunkt gilt. Für fünf Monate zog du selbst ein in den Komplex. Du hast sprichwörtlich hinter die Fassaden geschaut.
- Und nun in unserer Zeit, bist du bekannt geworden durch zwei Fotoessay darüber, was Corona mit den Menschen macht und was sich verändert. „Neuland“__ titelte die Zeit ihre erste Serie und die zweite, die letzten Monat erschien, ** „Isoliert betrachtet“.
So können wir mit Recht sagen, dass du dem Ausspruch von Robert Capa irgendwie ernst genommen hast. Von ihm stammt das Bild „der sterbende Soldat“, was jeder schon einmal gesehen hat, stammt (oder stammen soll) sagte einmal „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.“ Du warst nahe genug dran.
Und du hast dafür beeindruckende Preise gewonnen.
Soviel zu deiner Person – Nun zu deiner Kunst
Die Fotografie kommuniziert, wie es Peter Piller (selbst Künstler, Fotograf und Jurymitglied) bei der Verleihung des Vonoviapreises sagte: „über Sprachgrenzen hinweg nimmt nonverbal Stellung und drück manchmal das „Noch-Nicht-Sagbare“ visuell aus“.
So haben wir heute mit dir eine andere Form der Begegnung, genauer müsste man sagen – eine andere Form der Dokumentation der Begegnung.
Wir sind neugierig, welche Wirklichkeit du gesehen haben, der du begegnet bist und was diese Wirklichkeit mit dir machte, welche Erfahrungen du für dich daraus gezogen hast.
Interviewausschnitten
Pressemitteilung nach dem Treffen, Rhein-Meeting
Am 19.3.21 sprachen Hubert Keßler, Sonja Reimer und Juliana Wegmann-Piermartini mit dem Fotografen Björn Ingmar Nolting über dessen Arbeit. Gleich zu Beginn betonte Nolting, dass für ihn die Fotografie „Schlüssel für Begegnungen“ sei. Sie ermögliche ihm, „an Orte zu kommen, an die ich sonst nicht käme“ und anderen davon zu erzählen. Bilder seien dabei eine Möglichkeit, das Leben des anderen zu teilen, auch auf Distanz.
In einem einführenden Vortrag lotete Nolting das der Fotografie eigentümliche Verhältnis von Nähe und Distanz aus. Zuerst zeigte er Bilder aus dem Göttinger Iduna-Zentrum, wo er mehrere Monate gelebt hatte und verwies auf Geschichten einzelner Bewohner. Besonderes Anliegen war ihm dabei, den Menschen, die er fotografiert, „auf Augenhöhe zu begegnen“. So lud er die Bewohner im Iduna-Zentrum auch ein, auf der Doppelseite eines Notizbuchs ihre eigene Geschichten zu erzählen. Die so entstandenen Bilder gingen ein in den Zyklus „Hinter Fassaden“.
Ganz anders dann das Verhältnis von Nähe und Distanz bei den Bildern, die im Rahmen des ersten Lockdown entstanden sind. Er zitierte Merkels Satz aus ihrer Rede vom 18. März 2019: „Im Moment ist nur Abstand Ausdruck von Fürsorge“, der ihn veranlasst habe, zu einer Reise durch Deutschland aufzubrechen, um zu sehen, was da gerade passiert. Durch die gebotene Distanz wurden die Bilder gewissermaßen zur Bühne, auf denen sich Szenen und Geschichten abspielen. Eingefangen in den Bilder ist dabei auch in der Farbgebung das in dieser Zeit vorherrschende Gefühl des Surrealen. Gleichzeitig habe er erfahren dürfen, dass auch auf Distanz Begegnungen möglich sind.
Nolting betonte dabei den subjektiven Charakter seiner Bilder. Es gehe um die Wirklichkeit, wie er sie gesehen habe. Erfahrbar für Zuschauer und Zuhörer wurde dabei Martin Bubers Satz, der in der Einführung zitiert wurde: „Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus. Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.“ Vielen Dank, Ingmar Björn Nolting, für dieses Gespräch!