Der Christopherkreis in Bruchsal - Heimattage
Von Hubert Keßler
Am 21.10 2015 wurde im Rathaus Bruchsal die Ausstellung im Rahmen der Eröffnung der Themenwoche zum Gedenken an den Abtransport der jüdischen Mitbewohner gezeigt.
Anbei die Rede
Ich darf am Ende den Faden, den Sie, Frau Oberbürgermeisterin Petzold Schick zu Beginn gelegt hat, nochmals am Beispiel der unten aufgehängten Ausstellung
Gesichter eine Freundschaft - aufnehmen: Zur Heimatgeschichte Bruchsal gehören die dramatischen Ereignisse der Verfolgung der Juden, von denen wir am 21.10. im Rathaus in Bruchsal gehört haben. Der Abtransport der jüdischen Bevölkerung nach Gurs. Auch im kirchlichen Umfeld kam es zu Verboten und Verfolgungen und Auseinandersetzungen: Am 27. Juni 1939 kam es zum totalen Verbot des Schülerbundes “Neudeutschland”. Zu dieser Zeit gehörten zum Bund 24 Schüler und 6 Jugendliche, welche die Schule schon beendet hatten. (die Namen sind in der Ausstellung genannt) Hans Bausch, der damalige Verantwortliche, informiert die Mitglieder über das Verbot des ND. und ermutigte zu Neugründung im (erlaubten) binnenkirchlichen Raum unter dem Namen Christopher.
Er schrieb damals:
„N. D. ist verboten […] (aber) der Geist kann nicht verboten werden. Deshalb beginnt eure neue Arbeit unter dem Namen „Christopher“, dem Träger des Geistes unseres Herrn. Und ihr seid nichts anderes als eine Kernschar katholischer studierender Jugend, die gegen niemand gerichtet ist.“ (H. Bausch, 1940)
Die Losung, die er ausgab war nun, „löscht den Geist nicht aus“. Das war auch vorher schon eine ND Losung gewesen und darin sah der Oberstaatsanwalt den Beleg für den Verstoß gegen das ausgesprochene Verbot. Tatsächlich gingen Fahrten und Treffen zunächst weiter unter anderem Namen. Und als durch die Einberufung zur Wehrmacht (Bausch Roegele 1940) die Mitgliederzerstreut wurden, führten die Gruppe die später so genannten „Wir-Hefte“ ein, eine Sammlung von Briefen, die sie vervielfältigten, um zumindest im Geiste verbunden zu bleiben.
Und damit wird der Titel der Ausstellung verständlich: Gesichter einer Freundschaft.
Es waren Jugendliche, welche den Mut hatten, sich das nicht nehmen zu lassen, was ihnen wichtig und wertvoll war. Sie leisteten in diesem Sinne Widerstand, nicht gegen jemand sondern für Jemanden. Und dies wurde zunächst einmal konkret in ihren Freundschaften, in ihren Treffen und Fahrten, letztlich zeigt sich dieser Jemand vielfach in den Briefen, durch die sie untereinander in Kontakt blieben.
Im Oktober 1940 übernahm Wilhelm Eckert die Führung der Gruppe Christopher, - es war der Monat des Abtransportes der Juden nach Gurs – ein Jahr später wurde er – noch ein Schüler - für dieses sein Engagement - verurteilt.
Neben Hans Bausch, der in zahlreichen dieser Briefe die Weiterarbeit in Bruchsal inspirierte, wirkte auch Franz Schmitt maßgeblich auf Eckert ein. Schmitt hatte bis 1935 die Bruchsaler Gruppe geleitet und bereitete sich 1940 nach seinem Theologiestudium im Priesterseminar der Diözese Meißen in Schmochtitz auf die Priesterweihe vor“. Er begleitete die Gruppe von dort aus durch Briefe. Diese theologische Begleitung spiegelt sich z.B. in W. Eckert Ansprache an die neuen jungen Gruppenmitglieder. Er schärfte ihnen die neudeutschen Ideale ein und verknüpfte sie mit dem Gruppennamen:
„Brüder, wir haben uns den Namen Christofer gegeben. Seien wir ganz Gottesträger, damit wir mit dem heiligen Apostel Paulus sprechen können: Der Weg ist also ganz frei zu neuer, ungehemmter Arbeit. Ihr seid vor der Geschichte dafür verantwortlich, daß das Erbe des Bundes hinübergetragen wird“
Das eigentliche Anliegen der Ausstellung liegt darin, diese Persönlichkeiten zu Wort kommen zu lassen.
Neben der Zeitgleichheit finden wir eine zweite Parallele:
Wir hören von und stehen vor Persönlichkeiten, auf die man mit Gewinn schauen kann.
Darum liegt der Erinnerung und Vergegenwärtigung dieser Personen und ihrer Gedanken heute immer auch die Möglichkeit einer Veränderung im Morgen.
Darum werfen wir nun einen Blick auf einige dieser Personen.
Was kennzeichnet die Haltung dieser Jugendlichen, wie sie in den Briefen ersichtlich wird
1) Der Mut:
- Das Erstaunliche daran ist gewiss zuerst die Tatsache, das 16-, 20jährige nach einem offiziellen Verbot mit Hausdurchsuchungen und Verhören es wagten, zwei weitere Jahre ein Gruppenleben in der Illegalität zu führen, ihrem Gewissen zu folgen und ihre Anliegen Tagebüchern und Briefen anzuvertrauen.
- Bedeutsamer noch erscheint die Leidenschaft, mit der diese Jugendlichen an ihren Idealen festhielten, so gut wie ohne Ansporn und Hilfe von Erwachsenen, zuweilen in ausgesprochenem Gegensatz zu ihnen.
2) Ein von einer gläubige Lebenskultur geprägtes Wertebewusstsein
Hans Bausch, der spätere Intendant des Süddeutschen Rundfunkes, sagt im März 1940 in einer Anrede an die Freunde ->
„Sie wüßten um ihre Aufgaben und sie sollten sich besinnen! Sie wüßten um Echtheit, Natürlichkeit, ** Wahrhaftigkeit** und um den Willen zur Jugendbewegung. Und nie sollten sie die Vollendung dieser Werte vergessen: ** Christus und unseren Kampf für ihn**“.
3) Ein Bildungs- und Erziehungsverständnis als „Mittel“ gegen Vermassung und Dumpfbackenheit des Naziregimes
In einer umfangreichen Reflexion über die Bildung in der Gemeinschaft erläuterte Otto Roegele – der spätere Herausgeber des Rheinischen Merkurs - Anfang 1941 drei unabdingbare Elemente: Neben der Persönlichkeit seien die Bereitschaft zu persönlichem Opfer und eine alles überragende Idee vonnöten.
Verschiedene Wesenszüge der Persönlichkeit werden in greller Abgrenzung zu in der Gesellschaft Beobachtetem herausgestellt:
Wenn er “die Haltung zur Geschlossenheit, Beherrschtheit, Wahrhaftigkeit, Demut und Ehrfurcht” - > dem “Drill” gegenüberstellt:
Dabei schreibt er: “Die Mutter des Drills ist die Furcht, die Furcht vor dem Bunker, vor dem Unteroffizier, vor dem Lehrer, vor den Eltern, vor dem Chef, auch vor der öffentlichen Meinung.
Haltung dagegen kommt aus Edelmut,
Drill aus der Einsicht in die Unerziehbarkeit des Menschen.
Der Vater der Haltung ist also der Mut zum Glauben an den Menschen. Der Vater des Drills dagegen ist der feige Rückzug vor der großen Aufgabe. …“ 46 “Hütet das Feuer” (Januar 1941), (Anm. 27),
Oder –
„Wir dürfen uns nicht aufsaugen lassen von der Mode, vom Zeitgeist. Wir müssen die Kraft behalten, in jedem Augenblick, wo es nötig ist, auch gegen den Strom zu schwimmen. Und nicht nur immer dagegen schwimmen, ein ganzes Leben lang, sondern auch ein neues Ufer zu gewinnen. Wir dürfen uns nicht einwickeln lassen ins Geschrei der Masse, ins Geschrei um eine bessere Zukunft, sondern wir müssen aktiv Anteil nehmen an der Gestaltung dieser Zukunft. "
Blicken wir auf den geschichtlichen Verlauf
Durch die Kontrolle der Soldatenpost kam die Gestapo der Gruppe auf die Spur. Im Mai 1941 überraschte sie Wilhelm Eckert bei der Fertigstellung eines neuen “Wir- Heftes”. Gegen ihn, Franz Schmitt und Otto Pfau wurde unter Berufung auf die " Reichstagsbrandverordnung” von 1933 Anklage beim Landgericht Karlsruhe erhoben."
Am 20. Mai 1941 gab die Gestapoleitstelle Karlsruhe ihre Erkenntnisse über »Illegale Betätigung für den Bund > Neudeutschland«< in einem neun Seiten starken Brief an den Badischen Minister des Kultus und Unterrichts weiter. Darin war auch die Forderung enthalten, die Hauptbeteiligten von der Schule zu entfernen, ihnen das Abitur und das Studium unmöglich zu machen und die Eltern, soweit sie dem öffentlichen Dienst angehörten, durch Versetzung aus Bruchsal zu bestrafen.
Das Ministerium gehorchte dem Befehl der Geheimen Staatspolizei, wie es den damaligen Machtverhältnissen entsprach, …. So wurden Berthold Frey, Norbert Lampert, Rudolf Fackler, Werner Schnell, Erich Schultz, Hermann Bläsi, Willibrord Krauth, Kunibert Saur und Willi Fröhlich von der Schule verwiesen.
Außerdem erhielten sie, ohne jedes rechtsförmige Verfahren, drei Wochen Jugendarrest, der an den Wochenenden stückweise abzusitzen war im Gefängnis Durlach.
Die Väter wurden, wenn sie Beamte waren – einige waren Lehrer, nach Art der Sippenhaft an andere Dienstorte versetzt..
Außerdem wurden ihnen Kinderbeihilfen und Erziehungszulagen entzogen, hatten sie doch ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt.
Der Religionslehrer am Bruchsaler Gymnasium, Professor Hugo Stolz, wurde in den »Wartestand« versetzt.
Die NSDAP in Bruchsal lief zur aggressive Hochstimmung auf. Sie wollten den Fall der Schülergruppe »Christopher« nicht nur der Gestapo überlassen.
In öffentlicher Kundgebung gab Kreisleiter Epp den erstaunten Einwohnern zu wissen, man habe eine Verschwörung ** jugendlicher Verbrecher** aufgedeckt, die das Regime stürzen und ein »neues Deutschland« schaffen wollten.
Eine Geheimdruckerei habe Flugblätter hergestellt mit der Aufforderung an deutsche Soldaten, die Waffen niederzulegen
Die Gestapo war überzeugt, dass es irgendeine geheime Regie, wahrscheinlich aus dem kirchlichen Hintergrund, geben müsse, einen Drahtzieher, einen »großen Unbekannten«. Einen solchen mussten sie auch für den geplanten großen Prozess finden, dafür konnten sie keinen minderjährigen Schüler gebrauchen, der dem Jugendstrafrecht unterlag.
Durch ein Telegramm, das bei Wilhelm Eckert gefunden wurde, geriet Franz Schmitt, 1930 bis 1935 Führer der Bruchsaler »Neudeutschland«-Gruppe und seit Februar 1940 Kaplan in Chemnitz, in den dringenden Verdacht, der gesuchte »Mann im Hintergrund« zu sein.
Am 27. Juni 1941 wurde er auf Weisung der Gestapoleitstelle Karlsruhe in Schutzhaft genommen. Man brachte ihn in das »Arbeitserziehungslager« Maltheuern bei Brüx im besetzten Sudentenland. Von dort gelangte er zur Verhandlung vor die Strafkammer II des Landgerichts Karlsruhe.
Die Justizbehörden in Baden hatte in bemerkenswert rascher Arbeit ein Strafverfahren gegen die Protagonisten der Bruchsaler Gruppe vorbereitet:
Die Anklageschrift des Oberstaatsanwalts trägt das Datum 1. September 1941 und beschuldigt Franz Schmitt, Wilhelm Eckert und Otto Pfau, »vom Frühjahr 1940 ab in der katholischen Jugendgruppe >Christopher in Bruchsal, den verbotenen Bund Neudeutschland illegale weitergeführt zu haben.
Am 21. November 1941 endet schließlich die Gerichtsverhandlung: Franz
Schmitt wird beschuldigt, als verborgener Kopf der Bruchsaler Gruppe den verbotenen Bund Neudeutschland weitergeführt zu haben. Urteil: Zehn Monate Haft.
Den Kaplan Franz Schmitt verteidigte damals der Karlsruher Rechtsanwalt Reinhold Frank (1896 - 1945), Nach Reinhold Frank die Stadt Karlsruhe ( Reinhold Frank, geb. 23. Juli 1896, hingerichtet 23. Januar 1945, weil er an den Ereignissen um den 20 Juli beteiligt war) Mitglied der katholischen Studentenverbindung Arminia.
Otto Pfau, bei Minsk als Gruppenführer und Bunkerknacker in der Infanterie eingesetzt, verliert seinen Rang als Leutnant und auch seine Funktion als Gruppenführer.
- Eckert wird zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Die Untersuchungshaft von sechs Monaten wird ihm angerechnet. Ein weiterer Schulbesuch wird W. Eckert untersagt und damit ein späteres Studium ausgeschlossen.
Nach Wilhelm Eckert hat die Stadt Bruchsal eine Straße bezeichnet (14. 2. 1989 vom Bruchsaler Gemeinderat beschlossen. Silberhölle-Eggerten („Wilhelm-Eckert-Weg“)
Ich sagte vorher: In der Erinnerung und Vergegenwärtigung dieser Personen und ihrer Gedanken liegt immer auch die Möglichkeit einer Veränderung im Heute und Morgen. Wenn wir uns berühren lassen von dem Zeugnis dieser Menschen, haben wir den ersten Schritt gemacht. (Hubert Keßler)